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Pressestimmen

In AHLAM EL MEDINA  entfaltet sich vor unseren Augen die 'Saga', die  Familienchronik eines Stadtteils von Damaskus unmittelbar vor Gründung der kurzlebigen Vereinigten Arabischen Republik. Das ist 'Neo-Realismus' oder etwas, das ihm sehr nahekommt. Tiefe Erschütterungen kennzeichnen den Alltag der Menschen in den Straßen und Gassen dieses Viertels, prägen intimste Augenblicke und Momente, an denen eine ganze Gemeinschaft
teilhat, die niemanden hervorbringt, der nach Starruhm trachtet. Das Finale ist fröhlich und ausgelassen; es herrscht Jubel über die vom Radio verkündete Ankunft Nassers, des Vereinigers, des Bruders. Das Tagesgeschehen rückte den 'Mittleren Osten' in unser Blickfeld, um in jener Terminologie zu bleiben, in der stets der Meridian von Greenwich (allgemeiner gesagt die europäische Vorherrschaft) als Epizentrum der Welt galt, ein Interesse, das leider von den Ereignissen noch hervorgehoben wurde, die seit Jahrzehnten die Aufmerksamkeit auf Syrien und seine Anrainerstaaten lenken. (L'Humanité, 16.5.1984)

Man ist überrascht, daß es dem Filmemacher mit  AHLAM EL MEDINA, dem einzigen Film, den das nationale Filmbüro Syriens in diesem Jahr produzierte, augenscheinlich gelungen ist, die Vorschriften eines Regimes zu umgehen, das, wie man meint, auf Einhaltung von Prinzipien pocht und die Darstellung eines saloppen, freundschaftlichen und oftmals gewalttätigen Universums nicht duldet. Ein Knabe und seine junge Mutter kommen vom Land und lassen sich in Damaskus nieder, einer Stadt, die einer Fata Morgana gleicht. Sie, die Mutter, sehr zart, sehr rassig; er, der Junge, der darauf brennt, alles zu entdecken und sich mit ganzer Seele dem Leben hingibt. Zwei Hauptschauplätze, ein bißchen wie im Theater, das Haus des Großvaters, eines alten widerwärtigen Despoten, und die Straße, der ständige Tummelplatz des Jungen, wo die Gewalt auch vor Mord nicht zurückschreckt. Der Filmemacher vermeidet konventionelle 'schöne Bilder‘. Hinter der Nonchalance, der Verwunderung, lauert der Tod. Ringsherum Erwachsene, Ladenbesitzer und Handwerker, frank und frei gesagt. Und die allgegenwärtige Politik. Das Zurücktreten in die Zeit, das Ende einer Diktatur, die Machtergreifung Nassers in Kairo und die kurzlebige Vereinigung Syriens und Ägyptens im Jahre 1958. Die Filmkopie enthält unbeabsichtigte Farbschwankungen, die Tonspur rauscht, als wäre ein Wirbelsturm über sie hinwegefegt, die Untertitel haben Lücken. E in Kino, der noch in den Anfängen steckt, eine Begegnung mit einer unbekannten Stadt, mit einer Ecke dieser Metropole, die wie eine Provinz wirkt, außerhalb der Zeit und des Modernismus.  (Le Monde, 17.5.1984)

Der syrische Film ist jüngst mit einer Reihe von sozialkritischen Spielfilmen an die Spitze der arabischen Filmproduktion gerückt. Und, so könnte man hinzufügen, neo-realistische ‚Straßenfilme' sind überall in der arabischen Welt wieder in Mode, sofern die Beiträge bei internationalen Festivals als Indiz gelten können. Mohammed Malas' AHLAM EL MEDINA ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Trend.
Nach dem Tod des Vaters in dem Dorf Kuneitra zieht der junge Dib mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder nach Damaskus. In dem Haus des Großvaters finden sie Obdach und Sicherheit. Man schreibt das Jahr 1950, die Militärdiktatur in Syrien steht kurz vor dem Zusammenbruch. Vor diesem Hintergrund der politischen Umwälzungen im Mittleren Osten (Nationalisierung des Suez-Kanals, Zusammenschluß von Syrien und Ägypten zur Vereinigten Arabischen Republik, Krieg mit Israel) wächst der Junge auf und wird Zeuge der Brutalität um ihn herum: in seiner eigenen Familie, unter den Nachbarn, zwischen den Leuten auf der Straße. Die härteste Lektion ist das gemeine Verhalten seines Großvaters gegenüber der Schwiegertochter, der Mutter des Jungen, die von ihrem Schwiegervater aus Gründen der Schicklichkeit gezwungen wird, sich wieder zu verheiraten, sowie der Tod seines Bruders im Gefolge einer sinnlosen Auseinandersetzung, deren Augenzeuge er wird. Der Film, für den Überseemarkt sicherlich thematisch zu abseitig und formal zu weitschweifig, ist als Spielfilmdebut gleichwohl beeindruckend. (Variety, 16.5.1984)

Die Politik ist in AHLAM EL MEDINA nurmehr die Kulisse, vor deren Hintergrund die zärtlichen Gefühle des Kindes gegenüber seiner Mutter, seine Entdeckung der Liebe, Niedertracht, Ungerechtigkeit und Gewalt umso deutlicher zutage treten. Die Menschen begreifen nur langsam, aufgrund von ein oder zwei Demonstrationen und den  ausgewechselten Porträts in den Schaufenstern, daß ein Regime das andere ablöst. Aber welches von beiden ist das bessere? Der Autor besitzt genug Ironie oder klaren Verstand, um auf eine Antwort zu verzichten. Er sucht dem wirklichen Leben nachzuspüren und nicht jenem der Propaganda.
Und das gelingt ihm, trotz seines etwas akademischen Stils, durch seine einfühlsame Sicht der Gesellschaft und die Genauigkeit, mit der Malass seine  Schauspieler führt,  insbesondere Bassel El Abdiadh, einen jungen Debütanten, der sich an der Seite von  Yasmine Khlat hervorragend bewährt, die bereits mit dem tunesischen Film A z i z a auf sich aufmerksam machte, und die hier die Rolle der Mutter spielt. Am Ende des Füms, voller  Nostalgie über eine Zeit, in der die Araber noch an die Union glaubten, sieht der kleine Junge, wie ein Mann seinen Bruder tötet. Wahrscheinlich ist dies eine Anspielung auf den späteren Krieg im Libanon und die enttäuschte Vorahnung, daß dieser Traum von der Einheit nicht lange währen wird. Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in ein und derselben Bewegung zu beschreiben, kennzeichnet einen großen Filmemacher. Wenn die  kinematographischen Strukturen seines Landes es ihm erlauben, kann man in Zukunft noch viel von Mohammed Malass erwarten. (Jeune Afrique, 30.5.1984)

Quelle: 15. internationales forum des jungen films berlin 1985, Filminformation Träume von der Stadt pdf

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