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Die MacherInnen über den Film / Pressestimmen / Rezensionen

Der Regisseur über den Film
Verwirrt von der Leere meines Dorfes Ain el-Halazoun und von den häufigen Gesprächen mit meinem Onkel Semaan, wollte ich verstehen, was ihn veranlasst hat, seinem urbanen Leben den Rücken zu kehren und sich in einem Geisterdorf nieder zu lassen. Wie ist er fähig zurück zu kehren? Die Narben einer blutigen Vergangenheit hinter sich zu lassen? Warum haben andere sich nicht entschieden zurück zu kehren? Werden sie von der Angst, dass der Krieg erneut ausbrechen kann abgehalten?
Für mich ist der Film eine Hinterfragung der formalen Aussöhnung, die vor vielen Jahren stattgefunden hat. Eines Aktes, der bis heute jeder Glaubwürdigkeit entbehrt, die Menschen tolerant genug zu machen, dass sie von der Vergangenheit heilen und vertrauensvoll in ihre Dörfer zurück kehren können. Ich suche nach Anhaltspunkten, anhand derer ich versuche, die psycho-sozialen Facetten der libanesischen Gesellschaft zu verstehen. (Simon El Habre)

Die ProduzentInnen über den Film
Der Bürgerkrieg im Libanon hat ein ganzes Volk beschämt. The One Man Village ist ein Versuch nicht den Krieg sondern seine Auswirkungen sowie die Fragen nach Erinnerung und Heilung zu verstehen.
Wie können wir dem Leben eines Mannes wie Semaan, der allen Widerständen zum Trotz versucht ein Exempel zu statuieren, zu zeigen, dass das Leben trotz aller Verbrechen, Massaker und Kriege weitergehen kann, wie können wir so einem Mann gegenüber gleichgültig bleiben?
Genau aus diesem Grund hat das Projekt uns, als unabhängige ProduzentInnen, die auch wir überzeugt sind, dass das Leben weiter gehen muss, berührt.
Wenn wir einen Film über eine Region oder einen konkreten Krieg, über den im Ausland so wenig bekannt ist machen, wissen wir, dass von uns erwartet wird, den historischen Hintergrund zu erläutern. Wir wissen auch, dass es viele widersprüchliche Geschichtsauffassungen gibt; zu denen möchten wir nicht noch eine weitere hinzufügen,
die Daten aus der Inhaltsangabe müssen reichen. Da dies ein Film über die Verwirrungen von (kollektiver) Amnesie und die Frage danach ist, wie man den Horror von (Bürger-)Krieg ins Leben integrieren kann, ziehen wir es vor, den Protagonisten des Films aufmerksam zuzuhören, sie emphatisch zu beobachten und neue Wahrnehmungsebenen zu öffnen.
In internationalen Kriegen trennen sich die Kriegsparteien nach Einstellung der Kampfhandlungen, nach einem Bürgerkrieg bleiben alle vor Ort. Bürgerkriege gibt es ständig - überall auf der Welt. (Jad Abi Khalil, Irit Neidhardt)

 

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Pressestimmen
Ein wunderbares Werk, in jeder Hinsicht (radioeins, Knut Elstermann)

[…] Kein Spielfilm, obwohl mit zahllosen märchenhaften Bildern aufwartend, ist dagegen die libanesische Dokumentation "The One-Man Village". Regisseur Simon El Habre besucht hier seinen Onkel Semaan im Dorf Ain El-Halazoun, in dem dieser seit fünf Jahren ganz allein mit Katze, Hühnern und Kühen lebt. Der libanesische Bürgerkrieg von 1982 hat diesen Landstrich entvölkert, und der wunderbare Film zeigt auf berührende Weise, wie ein Mann in ein Idyll flüchtet, um tief liegende Narben zu verstecken. Ein Film voller Poesie und einfacher Lebensweisheiten. (Berliner Morgenpost, Eberhard von Elterlien)

"The One Man Village" ist das eindringliche Porträt einer komplexen, vergessenen Landschaft, die größtenteils von der älteren Generation als ein mit Erinnerungsstücken besetzter Phantom-Ort ihres Gedächtnisses aufgesucht wird. […]
Weit über den eigenen, familiären Zugang und Horizont hinaus gelingt es Simon El Habre in "The One Man Village", die Landschaft als Gedächtnisraum zu zeigen. Mit zurückhaltender Distanz versucht er - als Stillleben und in gezielten und doch beiläufigen Gesprächen - nicht nur seinen Onkel zu verstehen, sondern auch die psychosozialen Facetten derer, die es vorzogen, nicht in das Dorf zurückzukehren. (taz, Bettina Allamoda)

Simon El Habre ist ein Filmemacher, dessen Namen, den man sich merken muss. Sein Talent für Bildkomposition und Vermittlung von Atmosphäre deuten darauf hin, dass sein nächstes Projekt ohne weiteres ein Spielfilm sein könnte. (Screen Daily, Fionnuala Halligan)

Aufregend, schmerzvoll, reif und sehr gut gemacht. Der Film kündigt die Geburt eines wahren Filmkünstlers an, der Mut und Talent miteinander kombiniert. Ein Film, in dem es kleinen Platz für Hass gibt. (Al-Akhbar, Pierre Abi Saab (Kritik zur Weltpremiere im Oktober 2008)

Ein Film, der unter die Haut geht. (Al-Mustaqbal, Reema Mismar)

Es hat den Anschein, dass dies der herausragende Film des Jahres 2008 aus Beirut ist, mutig, sensibel und professionell zugleich (der Spannungsbogen, der Schnitt, die Kameraführung). Der junge Filmemacher zeigt uns die Realität mit einer aufrichtigen und klaren Haltung. Das Geschehen basiert teilweise auf persönlichen Erfahrungen. Er geht keine Kompromisse ein,um sich dem Markt und einem Massenpublikum anzupassen. Dieser Filmemacher ist ein Zeitzeuge, ein Bürger, der im Film von zentraler Präsenz ist.( Al-Akhbar, Pierre Abi Saab (In einem Artikel über das libanesische Filmjahr 2008, Januar 2009)

Semaan, seine Tiere, sein Besuch und die Landschaft selbst sprechen zu uns über eigentlich unaussprechliche Mühsal, Trauer und die Möglichkeit von Schönheit und  Frieden in unserer Welt. […] Simon El Habre zeigt uns einen Mann, der in Schönheit lebt, in Frieden mit seinen einstigen Feinden. Wir haben eine Chance, wenn wir Geschichten wie dieser zuhören. (Groundreport, Avery Hudson)

Neben der trostspendenden Versöhnlichkeit und Menschlichkeit, die dieser Film trotz des in der Erinnerung der libanesischen Gesellschaft allgegenwärtigen Krieges illustriert, muss ich auch noch dessen fotografische Ausdrucksstärke erwähnen: Man hätte ihn auch ganz ohne Ton und in unbeweglichen Fotos sehen können, und hätte dann zwar Semaans unschlagbaren Humor verpasst, aber trotzdem verstanden, welche Geschichte der übrigens sehr sympathische Dokumentarfilmer dem Publikum erzählen wollte. (minerva.jimdo.com, Frauke M.)

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Rezensionen

Es geht nicht um Schuld - von Heike Kühn für die Frankfurter Rundschau am 17.9.2009
Simon El Habre, Regisseur und Neffe des herzzerreißend gutwilligen Semaan El Habre, hat sich entschieden, für seinen seelenvollen Dokumentarfilm "The One Man Village" auf Geschichtswissen zu verzichten.

Einmal liest Semaan El Habre vor, wann Mrs. Hanouni geboren wurde, heiratete, Kinder bekam und welche von ihren Nachkömmlingen nicht mehr leben. Nur, dass es sich bei dieser zärtlichen Aufzählung um den Stammbaum seiner Kühe handelt. Einst lebten 13 Menschen in dem Haus in den libanesischen Bergen. Sie waren Christen und bebauten ein fruchtbares Land. Nach dem Bürgerkrieg sind die Überlebenden mit 44 anderen Familien aus dem Dorf Ain el-Halazoun fortgezogen. Wer schoss auf wen und warum? Warum kommt die Verwandtschaft des Mannes mit den melancholischen Augen und dem grau gewordenen Schnauzbart nur noch, um überwachsene Wassergräben zu öffnen, im Sommer die Bäume abzuernten und zu Ostern auf traditionelle Weise Eier miteinander zu teilen?

Simon El Habre, Regisseur und Neffe des herzzerreißend gutwilligen Semaan El Habre, hat sich entschieden, für seinen seelenvollen Dokumentarfilm "The One Man Village" auf Geschichtswissen zu verzichten. Man kann nachlesen, dass im libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 Christen und Drusen aufeinander schossen. Aber man muss sehen, wie der über fünfzigjährige Semaan sich entschlossen hat, seinen Frieden mit einer verwüsteten Landschaft zu machen, in der ihm Vater und Mutter ermordet wurden. Ruhig sei es, sagt der Mann, der sich mit liebevollen Scherzen um alles kümmert, was bedürftig ist: Hühner, Katzen, Hunde, Pferde, Zurückgelassene.

Es fehlt an einem Badezimmer, sonst könnte er vielleicht heiraten. Seine große Liebe ist ihm in den Wirren des Bürgerkrieges verloren gegangen. Vom Krieg erzählen seine gelegentlichen Besucher mit Lücken, die offene Wunden sind. Es geht nicht um Beweise, nicht einmal um Schuld. Früher, sagt ein Alter, habe man gemeinsam von einem Teller gegessen - so wie Jesus und seine Jünger. Was heute ist? Der ganze Film schwingt im Rhythmus der in unvollendeten Sätzen steckengebliebenen Trauer.

Ein hoher Ton geht von diesen Auslassungen aus, als sei er nur für die Ohren der Toten bestimmt. Nur Semaan scheint mit diesem Ton leben zu können. Allein? Nein, sagt er, das sei er nicht im Dorf, wo Mutter und Vater begraben liegen. Und wer ihm zusieht, der fühlt sich seltsam getröstet.
Quelle: Frankfurter Rundschau


Allein mit seiner Herde - von Fionnuala Halligan für Screen Daily, 29.12. 2008
In beinahe malerischen Bildern erzählt Simon El Habre in seinem elegischen, zurückhaltenden Dokumentarfilm The One Man Village die überraschend fesselnde Geschichte seines Onkels. Mit sorgfältig komponierten Einstellungen gestaltet der Filmemacher das Porträt eines im Krieg verwüsteten libanesischen Dorfes, in dem nur ein Mann zusammen mit seinen Tieren lebt. Der Film ist das wehmütige, aber niemals hoffnungslose Porträt einer zeitlosen Landschaft in einer sich schnell verändernden Welt.

Es ist beachtlich, mit welchem Selbstvertrauen El Habre an den 86-minütigen Film herangeht. 20 Minuten vergehen, bevor der Filmemacher einen zweiten Protagonisten einführt; 35 Minuten, bevor wir erfahren, welche Verwüstungen sich in Aïn al-Halazoun abgespielt haben (den genauen Grund dafür erfahren wir nicht). Simon El Habre ist ein Filmemacher, dessen Namen man sich merken muss. Sein Talent für Bildkomposition und Vermittlung von Atmosphäre deuten darauf hin, dass sein nächstes Projekt ohne weiteres ein Spielfilm sein könnte.

Nach einer kurzen Einführung, in der uns El Habres Onkel Semaan El Habre und seine Katze Zizi vorgestellt werden, beginnt The One Man Village mit einem Hahnenschrei, und in einer Totalen, die aus der Perspektive des Hauses aufgenommen ist, sehen wir, wie die Sonne über der spröden libanesischen Schneelandschaft aufgeht. Das einzige Licht im Haus genügt, um Semaans Isolation zu vermitteln; er erzählt, dass der kleine Bauernhof seinem
Großvater gehörte, und Semaans Vater mit ihm (und 13 anderen Familienmitgliedern) in das Haus einzogen war, als er noch ein Kind war. Seine Eltern starben, als er noch sehr jung war, und die übrige Familie konnte die Rinderherde nicht mehr versorgen. Vor fünf Jahren kehrte Semaan nach Aïn al-Halazoun zurück; inzwischen ist er stolzer Besitzer einer Herde sehr ansehnlicher, auffallend sauberer Rinder, die auf Namen wie Princess Vicky, Mrs. Hanouni und - im Falle des Kalbs - Mr. Misk hören. Ein wunderschönes graues Pferd gehört ebenfalls dazu. Semaan, der einen Hang zum Übersinnlichen hat, führt eine Chronik über alle wichtigen Vorkommnisse, die seinen Tierbestand betreffen. „Ich lebe gerne so friedlich und still“, gibt er zu, während er seinen Rindern ein Schlaflied singt.

Was seine eigene Verheiratung angeht, erzählt Semaan – der nicht mehr der Jüngste ist – seinem Neffen, dass er damit warten will, bis er das Badezimmer im Haus fertiggestellt hat.
El Habres Film zeigt die Narben, die der Bürgerkrieg im Libanon zurückgelassen hat: äußerlich (früher lebten 45 Familien in Aïn al-Halazoun) und im Innern der betroffenen Menschen. Semaan und andere Dorfbewohner kehren oft in ihre alte Heimat zurück, um das Land zu pflügen, aber keiner von ihnen wird jemals wieder in dem Dorf leben. „Unsere Kinder wissen nichts über Hausbau oder Landwirtschaft“, klagt einer von ihnen. „Bald wird niemand mehr hierherkommen.“

Noch 20 Jahre später ziehen es die meisten Zeitzeugen von El Habre vor, manche Geschehnisse in den Bergen außerhalb Beiruts zu vergessen. Deshalb gibt es in The One Man Village gewisse narrative Lücken – wie zum Beispiel Semaans Vergangenheit –, die es einigen Zuschauern schwermachen könnten, dem Film zu folgen. Mit dem Blick eines Malers, mit Bildkompositionen, die an Stillleben erinnern, und der flüssigen Kameraführung
(HD-CAM) fängt Simon El Habre diesen einzigartigen Augenblick in der Geschichte in seinem ebenso präzisen wie anrührenden Film ein.

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