Zum Inhalt springen
Zur Situation palästinensischer Flüchtlinge im Libanon / Interview mit dem Regisseur

Palästinensische Flüchtlinge im Libanon
In keinem anderen Land ist die Situation palästinensischer Flüchtlinge so schlecht wie im Libanon. Etwas über die Hälfte der knapp halben Million Flüchtlinge sind in den zwölf Flüchtlingslagern der UNWRA (UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) registriert. Sie kamen nach Vertreibung im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948, ein Rückehrrecht wird ihnen nicht gewährt. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde 1951 unterzeichnet. Die palästinensischen Flüchtlinge von 1948 fallen nicht unter deren Schutz. Ihr Rechtsstatus ist ungeklärt. Im Libanon dürfen sie weder Grund erwerben noch im öffentlichen Sektor arbeiten. Bis 2010 waren sie von 75 weiteren Berufen ausgeschlossen. Nun können ihnen Arbeitserlaubnisse im privaten Sektor erteilt werden. Laut UNWRA sind 56% der PalästinenserInnen im Libanon arbeitslos, die meisten von ihnen leben in den Lagern im Südlibanon, eins davon ist Ain El-Helwe. Zwei Drittel der palästinensischen Flüchtlinge sind arm, sie leben von unter 6$ am Tag.

Im Zuge des syrischen Bürgerkrieges flohen fast alle palästinensischen Flüchtlinge Syriens, meist in den Libanon. Mit ihren Papieren bekommen sie keinen Aufenthalt und werden als einzige Flüchtlingsgruppe nach Syrien abgeschoben. Dennoch bleiben zig-Tausende, die u.a. in Lagern wie Ain El-Helwe Zuflucht finden. Die UNWRA spricht von 80% Arbeitslosigkeit und katastrophalen Zuständen in den ohnehin schon überfüllten Lagern.

Amnesty Report 2013 - Libanon - Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten
Tausende palästinensische Flüchtlinge, die seit vielen Jahren im Libanon leben, waren weiterhin per Gesetz von der Arbeit in bestimmten Berufen ausgeschlossen, und Rechte, die libanesischen Staatsbürgern zustehen, werden ihnen vorenthalten. Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien überquerten 2012 die Grenze zum Libanon. Damit verschärften sich die Probleme bezüglich Wohnraum, Bildungs- und Gesundheitssystem sowie anderer begrenzter Ressourcen im Libanon. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) hatte zum Ende des Jahres über 170.000 syrische Flüchtlinge im Libanon registriert. weiter  

Palästinenser im Libanon: Die Zwangs-Schwarzarbeiter - Von Bodo Straub, Tel Aviv, spiegel-online 24.9.2011
Sie sind im Libanon geduldet, mehr aber auch nicht: Nirgendwo haben palästinensische Flüchtlinge weniger Rechte. Sie können nur illegal arbeiten, weil sie ihren Beruf nicht ausüben dürfen. Dabei leben viele von ihnen schon seit mehr als 60 Jahren in dem Land. weiter

Die vergessenen Flüchtlinge Palästinas im Libanon - Flüchtlingskinder im Libanon e.V. 
[...] Die Mehrheit der Flüchtlinge lebt noch immer in Flüchtlingslagern. Gravierende Arbeitsbeschränkungen, fehlende Bildungsmöglichkeiten, mangelnde Gesundheits­versorgung und damit wachsende Armut, Perspektivlosigkeit und Ausgrenzung prägen ihr Flüchtlingsschicksal heute mehr denn je. Vergessen von der Welt und den eigenen politischen Führern wachsen deshalb in den palästinensischen Flüchtlings­lagern Resignation und Verzweiflung.  weiter 

Unerwünscht und wegdefiniert – Zum Status Palästinensischer Flüchtlinge - Von Jana-Christina von Dessien, Universität Erlangen-Nürnberg in Fokus-Nahost, 18.3.2013
Im Nahostkonflikt scheint es bis zum heutigen Tag ja wirklich alles gegeben zu haben: Friedensgespräche, die Hoffnung aufkeimen ließen auf der einen, und alltägliche Krisenberichte der Medien auf der anderen Seite. Wenig echte Annäherung, dafür immer wieder Rückschritte durch Gewaltausbrüche. Realismus, wenn nicht sogar Resignation macht sich breit - vor allem in der Flüchtlingsfrage. Palästinensische Flüchtlinge sind seit über 60 Jahren die traurige Konstante in diesem Konflikt. Die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, kurz UNRWA, zählte 2012 fast 4,8 Mio registrierte und insgesamt mehr als 5 Mio Flüchtlinge. weiter

Palästinenser aus Syrien fürchten Abschiebung aus dem Libanon - von Björn Blaschke für Deutschlandfunk, 17.5.2014
Mehr als eine Million Syrer sind wegen des Kriegs in den Libanon geflohen. Aber seit Kurzem werden manche von ihnen wieder in die alte Heimat zurückgeschickt - betroffen sind nur Palästinenser aus Syrien. weiter

UNWRA - United Nations Relief and Work Agency for Palestinian Refugees in the Near East

Some 450,000 refugees are registered with UNRWA in Lebanon, with many living in the country’s 12 refugee camps. Palestine refugees represent an estimated ten per cent of the population of Lebanon. They do not enjoy several important rights; for example, they cannot work in as many as 20 professions. Because they are not formally citizens of another state, Palestine refugees are unable to claim the same rights as other foreigners living and working in Lebanon. Among the five UNRWA fields, Lebanon has the highest percentage of Palestine refugees living in abject poverty. weiter

Literatur
Ofterdinger, Ronald (Hrsg.): Palästinensische Flüchtlinge und der Friedensprozeß. Palästinenser im Libanon. Berlin: Hans Schiller Verlag, 2002.
Das Standardwerk zum Thema ist: Fisk, Robert: Pity the Nation. Lebanon at War. Oxford Paperbacks (1991; 2001)

Nach oben


Interview mit Regisseur Mahdi Fleifel
A World Not Ours ist ein faszinierendes Kinoerlebnis, das die palästinensische Krise aus einer individuellen Perspektive erzählt und uns persönliche Geschichten, Träume und Dilemmata erfahren lässt. War diese Herangehensweise von Anfang an klar oder war sie Ergebnis einer späteren Erfahrung oder Entscheidung? 

Die Herstellung dieses Films hat mehrere Jahre gedauert und war ein organischer Prozess. Es sollte eigentlich ein Spielfilm werden. Ich bin an der British National Film and Television School als Spielfilmregisseur ausgebildet worden und habe nur fiktionale Arbeiten realisiert. Es war nie meine Absicht, einen Dokumentarfilm zu drehen. Nachdem ich mehrere Jahre gefilmt habe, was ich glaubte, dass es mein Recherchematerial für den Spielfilm sei, an dem ich seit sieben Jahren schrieb, kam ich zu dem Schluss, dass es unmöglich ist, in Ain El-Helwe einen Spielfilm zu drehen, wie ich es wollte. Der chaotische und überbevölkerte winzige Ort hätte nicht nur verhindert, dass ich einen klaren Ton bekäme, es wäre auch schwer, ein klares Bild zu kriegen. Ich hätte keine Möglichkeit der Kontrolle über den Ort, was essentiell ist, wenn man einen Spielfilm machen möchte. Zumindest zu einem gewissen Grad. Daher und verbunden mit einem Gefühl der Desillusion nach dem Filmstudium, habe ich entschieden, “unplugged” zu gehen. Ich ging mit einer kleinen Ausrüstung nach Ain El-Helweh, die es mir möglich machte Bild und Ton aufzunehmen und mit einem Minimum an Geräten die Kontrolle zu haben.

Die Dreharbeiten waren der leichte Teil. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits zehn Jahre lang in Ain El-Helweh gedreht und mein Vater und mein Onkel hatten auch vorher gefilmt. Ich hatte also einfachen Zugang, es blieb in der Familie und die Leute wussten, was ich im Schilde führte.

Es war die Postproduktion, wo die wahre Arbeit stattfand. Ich wusste von Anfang an, dass ich eine Geschichte erzählen wollte. Nicht viele Leute haben die Idee unterstützt und ich verstehe warum. Es hat einen gewissen Narzissmus, wenn Regisseure zu sehr im Vordergrund stehen wollen. Es kann das Erleben stören und den Zuschauer ausblenden. Ich wusste also, dass es eine feinfühlige Balance brauchte. Ich wollte nicht vor der Kamera erscheinen, so wie es z.B. Ross McElwee oder Michael Moore tun würden, und es sehr gut tun. Ich wollte, dass meine Charaktere den Raum für sich haben. Aber ich musste sie sich vollständig ausdrücken lassen. Das ging nur indem ich das Publikum durch die Hintergrundgeschichten der Charaktere leite – meine Erinnerungen daran, wie sie waren und wie ich sie jetzt sehe – was bedeutet, dass ich den Film erzählen musste. Glücklicherweise bin ich von großartigen Lehrern und Geschichtenerzählern beeinflusst, die die Technik nutzen, wie der Erzähler in der Serie Wunderbare Jahre, Woody Allen in Radio Days oder Annie Hall, und sogar Scorseses Goodfellas.

Also, um ihre Frage zu beantworten, es war teilweise geplant, teilweise Intuition. Und mit der Hilfe eines großartigen Teams, mit dem ich an der Filmhochschule zusammen gearbeitet hatte, gab es Vertrauen und ich hatte die Zuversicht, dass ich den Film machen konnte, wie ich es wollte. Dass wir während der Produktion keine Produzenten hatten, bedeutete dass wir frei waren genau das zu tun, was wir wollten. Alles dauerte lange und die Gelder zu beschaffen war ein Alptraum, aber es ermöglichte uns, zu arbeiten. Es gibt auf solchen Reisen immer Engel und wir hatten einige, die uns sehr geholfen haben.

Was führte Sie zu dieser Herangehensweise, besonders in Anbetracht eines Trends im arabischen Kino, vor allem im Libanon, persönliche Geschichten mit größeren historischen oder zeitgenössischen Kontexten zu verweben? Wir haben Arbeiten von jungen arabischen Filmschaffenden gesehen, die ihre Geschichten anhand ihrer eigenen Familien erzählen und damit versuchen, Erinnerungen an historische Schlüsselmomente zu stimulieren, um die heutige, sich permanent wandelnde Welt, zu verstehen.

Es gibt einen Trend zum Filmschaffen in der ersten Person, der unsere Region in den letzten Jahren erfasst zu haben scheint. Ich liebe diese Art von Geschichten, aber natürlich nur, wenn sie gut erzählt sind. Das ist eine knifflige Sache. Wann hört das Persönliche auf universell zu sein und wird irrelevant und wann ist es universell und essentiell? Noch mal, es ist ein delikater Balanceakt. Ich musste in diesem Film einige harte Entscheidungen treffen, und es hilft, mit einem brillanten Schnittmeister zu arbeiten, der ein anderes Verhältnis zu dem Material hat als der Regisseur. Es gibt einen Punkt, an dem ich aufhören muss, meine Filmfiguren als meine Familienmitglieder zu sehen und sie als Menschen mit ihren eigenen Konflikten, Bedürfnissen und Träumen wahrnehmen. Dann kann ich eine Geschichte bauen und hoffentlich das Publikum als Geschichtenerzähler ansprechen und nicht als jemand, der über sein Leben und seine Familie schwadroniert.

Obwohl A World Not Ours sich auf einen menschlichen Blickwinkel konzentriert, weist der Film auch auf politische, soziale, ökonomische Aspekte hin, besonders in Bezug der Flüchtlinge zur libanesischen Gesellschaft und zu ihren palästinensischen politischen Führern. Es geht um den Schmerz, die Sorgen und die Verzweiflung, die das Leben der Flüchtlingsfamilien dominieren. Man bekommt den Eindruck, dass es nicht nur um eine (sicherheits-)politische Belagerung geht sondern vor allem auf eine menschliche, die sich auf politische und finanzielle Korruption in Palästina zurück führen lässt. Was denken Sie über solche Interpretationen des Films?

Mein Film ist nur politisch, weil er sich mit der palästinensischen Frage auseinander setzt. Ich selbst bin kein Politiker sondern ein Geschichtenerzähler. Ich mag weder Politik noch Politiker. Ich habe da kein Vertrauen rein. Ich habe vor circa 10 Jahren aufgehört, die Nachrichten zu sehen, um die Zeit der Invasion des Irak. Ich erkannte, dass es sinnlos war und mir nur Migräne verursachte und manchmal schlimmes Sodbrennen. Also habe ich aufgegeben und fühle ich viel besser. 

Das ist Ihr erster Dokumentarfilm. Warum haben sie sich nicht für einen Spielfilm entschieden, vor allem, wo das Publikum starke und ansprechende Erzähltechniken in Ihrem Film wahrgenommen hat?

Ich unterscheide nicht gern zwischen den beiden Formen. Ich glaube, wir sind im Kino an einem Punkt angekommen, an dem wir unsere Geschichten besser erzählen können, wenn wir diese Dinge weniger definieren. Das Wesentliche ist, die Wahrheit in dem zu finden, was du versuchst zu erkunden und auszudrücken. Manchmal sieht man Spielfilme, die viel wahrhaftiger sind als so genannte Dokumentarfilme. Mein Film ist weder Fiktion noch Dokumentation. Es ist eine Geschichte, meine Geschichte. Ich habe versucht, sie zu erzählen wie sie ist und so aufrichtig ich konnte, ohne mein Publikum zu langweilen.  Eine gute Geschichte muss das Publikum ansprechen und unterhalten (das ist die magische Formel), es muss auch authentisch und ehrlich sein (das ist, was es wertvoll macht und unserer Existenz vielleicht etwas Bedeutung gibt). Das oder Nichts.

Bitterkeit, Satire und Realismus – sind das die drei zentralen Themen, die ihren Film zusammenfassen können? Oder ist das nur ein Eindruck?

Es heißt Komödie sei Tragödie plus Zeit. Wenn man ein paar Stunden in Ain El-Helweh verbringt – ein Flüchtlingslager, das aus einer Tragödie entstanden ist und jetzt seit mehr als 65 Jahren besteht – wird deutlich dass es dort jede Menge Komödie gibt. Menschen müssen irgendwie überleben. Sie müssen Hoffnung in den hoffnungslosesten Umständen finden. Über das Leben zu lachen kann sicher vorwärtsweisend sein.

Besonders die Satire mit ihren bitteren Reflektionen findet sich in A World Not Ours während bittersüße Satire ein zentrales Thema in Ihrem Kurzfilm Arafat and I ist, der sich mit Ihrem Verhältnis zu Arafat befasst, anhand einer Arafat-Biographie, die sie Ihrer Verlobten schenken.

Mein Vater sagte immer “Unsere Geschichte ist eine Tragödie und unsere Gegenwart eine Katastrophe. Zum Glück haben wir keine Zukunft.“ Wenn Sie sich unsere Geschichte als enteignetes Volk ansehen, gibt es da etwas heillos Tragkomisches. Versuchen Sie mal Al-Jazeera's History of a Revolution zu sehen und dabei eine Schüssel Popcorn zu essen, dann sehen Sie, was ich meine. Arafat, mit allen Vor- und Nachteilen, war eine Maskotte und sein Bild wurde zum Symbol für unser Volk. Wir haben zu ihm gehalten, auch wenn er unverzeihliche Dinge getan hat. Das ist wie dickköpfig loyal wir zu unserem politischen Führer waren. Ich finde etwas Interessantes und Faszinierendes an Arafat und ich fühle, dass es noch viel über ihn zu verstehen gibt. Er war ein Taktiker, und darin genial. Aber es gibt auch viel Dinge an ihm, die mich nach wie vor verwirren. Arafat & I war eine Satire. A World Not Ours ist weder Komödie noch Drama. Es sind einfach die Dinge, wie sie damals waren und wie sie jetzt sind, die ihn zu dem Film machen, der er ist.

(Das Interview führte der libanesische Filmkritiker Nadim Jarjoura 2013 für den Blog des Internationalen Film Festivals Abu Dhabi. Übersetzung und Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Webredaktion des Festivals.)

Nach oben